Parrino

 „Mobilität muss weiblicher werden“

Als Geschäftsführerin Nahverkehr bei DB Vertrieb ist Carmen Maria Parrino nicht nur für Automaten, Nahverkehrs-Reisezentren, Präsenzagenturen, Abo Center und die digitalen Kanäle des Nahverkehrs verantwortlich. Sie hat auch ihre Fahrgäste im Blick und plädiert dafür, Mobilität weiblicher zu gestalten. Im RegioSignaleBlog erläutert sie, weshalb das für den Öffentlichen Verkehr wichtig ist und warum davon auch die Verkehrswende profitieren würde.

RegioSignaleBlog: Frau Parrino, Sie werben dafür, dass Mobilität weiblicher werden müsse. Was meinen Sie damit konkret?

Carmen Maria Parrino: Wenn wir mehr Kundinnen für den ÖPNV gewinnen wollen, müssen wir ihre Bedürfnisse kennen, damit sie sich in den Angeboten wiederfinden. Fakt ist aber, dass das oft nicht der Fall ist, weil der weibliche Blick an vielen Stellen fehlt – ganz gleich, ob bei Herstellern, Verkehrsunternehmen oder Bahnhofsbetreibern. Sicherheit rund um die Bahnhöfe und an Bahnsteigen, Wegeführung, Beleuchtung, die Erreichbarkeit von Gepäcknetzen oder die Schwierigkeit, mit 50 Kilo Körpergewicht einen ICE-Sitz zu verstellen – in all diesen Aspekten spiegelt sich der Umstand wider, dass öffentliche Mobilität sehr stark vom männlichen Fokus geprägt ist. Ich werfe das niemandem vor, aber es ist aus historischen Gründen nun einmal so. Genau deshalb geht es jetzt darum, dass überall mehr Weiblichkeit hereinkommt. Wir brauchen mehr Diversität, damit wir vielfältiger und nicht in Stereotypen denken.

RegioSignaleBlog: Spiegelt sich dieser verengte Fokus auch in der Angebotslandschaft des ÖPNV wider?

Carmen Maria Parrino: Naja, wenn man einen Job hat und gleichzeitig noch Familienmanagerin ist, Kinder in die Kita bringen oder vom Sport abholen muss, dazwischen noch einkauft, dann kriegt man das mit dem etablierten ÖPNV kaum hin. Deshalb optieren Arbeitnehmerinnen häufig lieber für das Firmenwagen-Angebot ihres Arbeitgebers. Ich finde aber, dass wir als Unternehmen den Anspruch haben sollten, Vorbild zu sein und ÖPNV zu leben.

Was mich persönlich betrifft, gelingt das auch, weil mein Alltag und der ÖPNV zusammenpassen. Familien gelingt das hingegen nur selten, weil deren Mobilitätsbedürfnisse vom ÖPNV nur sehr selten gedeckt werden können. Es sollte aber machbar sein. Die Frage ist nur, wie wir das hinbekommen.

RegioSignaleBlog: Was wäre Ihre Antwort?

Carmen Maria Parrino: Wir brauchen nicht nur Denkansätze, die uns heute vielleicht noch fremd sind. Es geht auch darum, andere Gewohnheiten zu entwickeln. Dichte Takte allein genügen ja nicht. An den Haltestellen sind flexibel nutzbare Angebote nötig, damit es nahtlos weitergeht. Um all diese Optionen abbilden und verfügbar machen zu können, brauchen wir Apps. Voraussetzung für deren Verwendung ist aber wiederum, dass wir künftig nicht mehr reflexhaft an das eigene Auto denken, wenn wir irgendwo hinwollen. Sondern stattdessen mit der Frage starten ‘Was brauche ich wo zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Verkehrsmitteln komme ich am besten an mein Ziel?‘ Wenn wir das als Ausgangspunkt nehmen und auf dieser Basis eine unkomplizierte Reisekette konzipieren, die möglicherweise sogar noch weniger Zeit in Anspruch nimmt als die Fahrt mit dem PKW, dann haben wir gewonnen. Aber das ist nicht nur ein technisches, sondern vor allem ein User-Thema. Es geht um Bedürfnisse, und da ist die Bandbreite wirklich enorm vielfältig. Es ist also ein langer Weg.

RegioSignaleBlog: … auf dem wir mit der Pandemie als Game Changer aber vielleicht schneller als bisher vorankommen? Stichwort Homeoffice?

Carmen Maria Parrino: Das könnte sich tatsächlich als Booster erweisen. Dadurch, dass Frauen und ihre Partner jetzt oft beide im Homeoffice arbeiten, können sie Mobilität anders organisieren. Wenn ich als Frau Kindertag habe, fällt die längere Arbeitsstrecke weg und ich kann für die kürzeren Wege auch andere Fahrzeuge nehmen. Das Rad, den Bus, die Straßenbahn oder was auch immer. Und wenn ich keinen Kindertag habe, kann ich vielleicht auch mit dem Zug zur Arbeit fahren, weil mit der Verpflichtung auch die kurzen Wege vor und nach der Arbeit wegfallen. Dann fahre ich morgens ins Büro, abends wieder zurück – und das war’s dann.

Aber es wird dauern, bis die Menschen diese Option erkannt und in ihre Alltagsroutine umgesetzt haben. Denn die Macht der Gewohnheit groß ist – und natürlich hängen solche Entscheidung auch davon ab, ob die persönlichen Mobilitätsbedürfnisse und das Angebot vor Ort zusammenpassen.

RegioSignaleBlog: Welche Rolle könnten der weibliche Blick und mehr Diversität dabei spielen?

Carmen Maria Parrino: Beides macht es leichter, ein breiteres Spektrum an Nutzerperspektiven in den Innovationsprozess zu integrieren und eine neue Mobilitätskultur zu entwickeln. Für die angestrebte Verkehrswende ist das eine entscheidende Voraussetzung.


Weitere Informationen zu Carmen Maria Parrino finden Sie hier.