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 „Für Arme ist ÖPNV schlicht zu teuer“

Die Verkehrswende soll und will möglichst viele Menschen mitnehmen. Aber kommt der ÖPNV mit seinem Auftrag zur Daseinsvorsorge überhaupt im Alltag armer Menschen an?

Wissenschaftler:innen der Technischen Universitäten Berlin und Hamburg sind dieser Frage im Projekt MobileInclusion nachgegangen. Die Ergebnisse ihrer Forschung haben sie nun in der Studie „Mobilität und soziale Exklusion“ veröffentlicht. 

Günstigere Sozialtarife allein reichen nicht

„Einkommensarme Menschen fahren kürzere Strecken und sind seltener unterwegs als Menschen mit höherem Einkommen. Außerdem leben sie oft in Stadtteilen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gut erreichbar sind“, beschreibt Christoph Aberle das, was er und seine Kolleg:innen vom Institut für Verkehrsplanung und Logistik der TU Hamburg als Mobilitätsarmut bezeichnen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: „Für die meisten Menschen in Armut ist der ÖPNV schlichtweg zu teuer. Einer Person, die Hartz IV bezieht, stehen nur 41 Euro monatlich für den Verkehr zur Verfügung“, rechnet Aberle vor.  

Wie weit sie damit kommen, hängt von der Tariflandschaft vor Ort ab. Günstigere Sozialtarife allein reichen Studienleiter Prof. Dr.-Ing. Carsten Gertz zufolge allerdings nicht, um Menschen dauerhaft aus der Mobilitätstarmut zu befreien. Zielgruppengerechte Informations- und Kompetenzvermittlung rund um bestehende Mobilitätsangebote seien ebenso wichtig. Gertz verweist auf München als Beispiel: „Dort kümmert sich ein Team von städtischen Mitarbeitern nur um die richtigen Angebote für bestimmte Personengruppen.“  

Das Fahrrad spielt kaum eine Rolle 

Tatsächlich ist nicht alles selbstverständlich, was auf den ersten Blick so scheint: Das Fahrrad spielt im Mobilitätsalltag einkommensschwacher Haushalte eine deutlich geringere Rolle, als es eigentlich naheliegen würde. Informationen über Mobilitätsangebote für Geringverdiener sind selten leicht zugänglich, dafür allzu oft schwer verständlich. On-Demand-Angebote gibt es vor allem dort, wo das ÖPNV-Angebot sowieso schon sehr gut ist. 

Warum die Belange einkommensschwacher Menschen im Mobilitätsdiskurs schnell unter die Räder kommen können, haben Autor:innen des Berliner Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung am Beispiel von Mobility-as-a-Service (MaaS) auf den Punkt gebracht. „Die Verkehrswissenschaften“, kritisieren sie in einem Beitrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung, hätten „tiefergehende Analysen der sozialen Folgeeffekte bisher schlicht vernachlässigt.“ 

Günstige, nutzerorientierte Spezialtickets gefragt

Gertz würde der Einschätzung wahrscheinlich nicht widersprechen, sieht aber offensichtlich auch in der Tariflandschaft großes Potenzial: „In zehn Jahren ist das Tarifsystem idealerweise viel einfacher – im Zugang, in der Verständlichkeit und in der gesamten Nutzbarkeit. Was für Menschen in Armut gut klappt, wird auch für andere funktionieren, beispielsweise für Studierende. Günstige, nutzerorientierte Spezialtickets haben die Chance, mehr Kundinnen und Kunden zu binden“, sagte er jüngst in einem Interview mit www.nahverkehrhamburg.de . 


Mehr über das MobileInclusion-Projekt:https://mobileinclusion.projects.tu-berlin.de/mi/