„Es ist nun mal ein aufreibender Job“
Sie sind 25 bis 40 Jahre alt, tragen viel Verantwortung und sind schon über 800: Das Netzwerk Junge Bürgermeister:innen setzt auf parteiübergreifende Kooperation.
RegioSignaleBlog: Herr Witzel, Sie sind Verbandsgeschäftsführer des Netzwerks Junge Bürgermeister:innen NJB. Was genau muss man sich unter jungen Bürgermeister:innen vorstellen?
Henning Witzel: Das haben wir uns bei der Gründung natürlich auch gefragt und diskutiert, was jung für uns bedeutet. Jung im Alter. Jung im Amt. Jung im Kopf. Gleichzeitig ist uns dabei klar geworden, dass auch junge Bürgermeister:innen irgendwann zum Establishment gehören, wenn sie nur lange genug dabeibleiben. Trotzdem stehen die, die jung ins Amt kommen, vor Herausforderungen, die ältere Kolleg:innen so nicht haben. Zum Beispiel, wie man damit umgeht, wenn einem ein 72-jähriger Fraktionsvorsitzender, der schon seit 35 Jahre dabei ist, erklären will, was man wie zu machen hat. Mittfünfzigern passiert so etwas selten, weil sie als Führungskraft ernstgenommen werden, Leuten in den 30ern schon eher …
RegioSignaleBlog: … während jüngeren wahrscheinlich automatisch mehr digitale Kompetenz unterstellt wird?
Henning Witzel: Genau – und damit muss man umgehen. Man wird gleichsam automatisch als jemand mit neuen und frischen Ideen identifiziert. Sich darüber intern austauschen zu können, wie man mit Rollen umgeht, die einem von außen übergestülpt wird – solche und ähnliche Aspekte haben dann letztlich dazu geführt, dass wir uns die 40 Jahre als Pi-mal-Daumen-Regel gegeben haben. Dabei haben wir uns auch an zahlreichen Wirtschaftsorganisationen oder den jungen Gruppen im Bundestag orientiert, bei denen die 40 Jahre oft die Schallmauer sind.
RegioSignaleBlog: Es geht also nicht nur um paternalistische Abgeordnete, sondern auch um Generationenfragen?
Henning Witzel: Natürlich. Die eigene Sozialisation, auch die berufliche, hat große Bedeutung. Die unterschiedliche Arbeitsethik, die verschiedenen Generationen gerne nachgesagt wird, spielt dabei allerding eher eine untergeordnete Rolle. Es ist nun mal ein aufreibender Job, und auch dafür ist das Netzwerk gut. Im kommunalen Bereich sind alle Arbeitstiere und auch junge Bürgermeister:innen empfinden ihre regelmäßigen 50- oder 60-Stunden-Woche nicht als Last. Trotzdem entwickeln sich auch hier neue Möglichkeiten. Aktuell gibt es zum Beispiel etliche Bürgermeisterinnen und auch einige Bürgermeister, die andere Formen von Elternzeit erproben und zum Beispiel die Wochenarbeitszeit auf drei Tage reduzieren, weil sie wissen, dass sie nicht ganz raus können. Darüber hinaus geht es uns als Netzwerk Junge Bürgermeister:innen natürlich auch darum, unsere „junge Sicht“ auf kommunale Themen auf Landes- und Bundesebene einzubringen.
RegioSignaleBlog: Sie selbst sind kein Bürgermeister, dafür aber der Host des NJB-Podcasts. Wie kam es dazu und für wen machen Sie den?
Henning Witzel: Wir waren 2020 als noch lose Vereinigung vom Bundespräsidialamt zu einer Veranstaltung des Bundespräsidenten mit der Zwickauer Bürgermeisterin eingeladen worden und kamen völlig euphorisiert zurück. Ein paar Tage später kam der Lockdown. Plötzlich konnten wir nichts mehr machen und haben unsere Energie dann in digitale Formate wie den Podcast gesteckt. In erster Linie, um den Austausch untereinander aufrecht zu erhalten. Mittlerweile produzieren wir alle 14 Tage eine neue Folge, dazu kommen Digitalkonferenzen oder der digitale Stammtisch, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Unterm Strich kann man sagen: Corona hat dazu geführt, dass wir uns ganz schnell digitalisiert und professionalisiert haben und unsere Arbeit in kürzester Zeit auf ein ganz anderes Level gebracht haben. Das ist der Vorteil, wenn man mit jungen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zusammenarbeitet. Da wird nicht lange gefragt, wie das geht, sondern einfach mal ausprobiert.
RegioSignaleBlog: In Baden-Württemberg haben in letzter Zeit ein Sozialarbeiter und ein Krankenpfleger die Wahl zum Oberbürgermeister gewonnen. Verändert sich da was? Wird das Amt für Menschen mit völlig durchschnittlichen Erwerbsbiografien zugänglicher?
Henning Witzel: Quereinsteiger gab es eigentlich immer schon. Mal mehr, mal weniger. Zumal in Baden-Württemberg, wo Bürgermeister:innen schon lange direkt gewählt werden. Das eröffnet Raum für eine gewisse Experimentierfreudigkeit. Was sich meiner Wahrnehmung nach aber abzeichnet ist, dass Parteizugehörigkeit in den größeren Städten an Relevanz verliert. Wir haben das kürzlich in Mainz gesehen, wo sich der parteilose Kandidat bei den Oberbürgermeisterwahlen durchgesetzt hat, in Freiburg oder Neubrandenburg war es ebenso. In kleineren Kommunen ist es hingegen schon längst keine Seltenheit mehr, dass parteilose Kandidat:innen ins Amt gewählt werden. Die Folge ist, dass es unzählige Bürgermeister:innen gibt, die gar keine Mehrheit im Rat haben, und deshalb immer wieder Mehrheiten organisieren müssen. Da ist dann Kommunikationskompetenz gefragt – und die hat ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin genauso wie ein Verwaltungsexperte oder ein Verwaltungsexpertin.