„Eigentlich total verrückt“
Auf der Suche nach Frauen im Eisenbahnsektor hat Larissa Zeichhardt aus Berlin einen Top-Event der InnoTrans erfunden.
Wenn sich am 21. September rund 500 weibliche Fach- und Führungskräfte aus dem Eisenbahnsektor auf der InnoTrans zum Luncheon der Women in Mobility (WiM) treffen, ist Larissa Zeichhardt selbstverständlich auch dabei. Zum einen, weil sie seit dem Tod des Vaters gemeinsam mit ihrer Schwester Arabelle Laternser die LAT-Gruppe führt, die im Bereich Elektromontage, Sicherheits- und Netzwerktechnik rund ums Gleis tätig ist. Zum anderen, weil Zeichhardt vor sechs Jahren mit einer „Schnapsidee“ genau ins Schwarze getroffen hat.
RegioSignaleBlog: Was war der Lucheon auf der Innotrans, als Sie ihn 2016 ins Leben gerufen haben – und was ist der Women in Mobility Luncheon heute?
Larissa Zeichhardt: Als ich in die Mobilitätsbranche kam, hatten meine Kollegen bei LAT ein gewachsenes und natürlich männlich geprägtes Netzwerk. Ich hatte nichts – und fragte mich, ob es in dieser Welt wirklich nur Männer gibt. Zusammen mit meiner Schwester kam mir die Schnapsidee, Frauen aus dem Bahnsektor zum Mittagessen einzuladen. Ich fragte bei der IHK und der Berliner Wirtschaftsförderung an, bekam tatsächlich einen Raum auf der InnoTrans und verschickte mutig pinkfarbene Einladungen. Inzwischen ist der WiM Luncheon zu etwas gewachsen, das wirklich eine Größe hat. Alle freuen sich auf diesen zusätzlichen Grund, zur InnoTrans zu kommen und sich fachlich auszutauschen. Und zwar ohne dass der Vorbehalt im Raum steht, Frauen würden von bestimmten Themen nicht sehr viel verstehen.
RegioSignaleBlog: Ist der WiM Luncheon als Summit für weibliche Fach- und Führungskräfte richtig beschrieben?
Larissa Zeichhardt: Das ist er mittlerweile tatsächlich. Eine Veranstaltung, die fest im Kalender steht, bei der die großen Namen der Branche dabei sind und sich das auch nicht nehmen lassen. Eigentlich total verrückt, was da entstanden ist. Das ist allerdings keineswegs nur mein Verdienst. Schon beim ersten Mal waren viele prominente Frauen aus dem Eisenbahnsektor dabei und haben gesagt: Das haben wir uns schon immer gewünscht, das unterstützen wir, da machen wir mit!
RegioSignaleBlog: Die EU hat erstmals den „Women in Rail Award“ ausgerufen. Beim WiM Luncheon werden die vier Gewinnerinnen aus Frankreich, Spanien, Irland und Deutschland geehrt – und zwar von drei Männern aus Eisenbahn-Institutionen der EU. Was sagt uns das?
Larissa Zeichhardt: (lacht) Na ja, Vielfalt ist ja ein Ziel unseres Luncheons … Aber im Ernst: Ich finde, das ist kein Problem. Es geht im Grunde tatsächlich weniger um eine reine Frauenveranstaltung, sondern darum, Vielfalt zu fördern. Wir geben Frauen eine Bühne, weil in unserer Bahnwelt nicht viele Frauen unterwegs sind. Und es ändert sich ja wirklich was, wir haben ein ganz anderes Bewusstsein. Das gibt uns die Chance, den fachlichen Dialog in Vielfalt und eben gerade auch aus weiblicher Perspektive zu führen.
RegioSignaleBlog: Der WiM Luncheon findet zum Teil im IdeenzugZelt von DB Regio statt. Da liegt der Schluss nahe, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Diversity einerseits sowie Kreativität und Innovationen andererseits.
Larissa Zeichhardt: Das ist auf jeden Fall so und zum Beispiel im Frauen-Karriere-Index FKI auch nachgewiesen. Vielfalt ist innovationsfördernd. Unternehmen, die mit gemischten Teams arbeiten, am besten in Pari-Besetzung, schneiden im Vergleich besser ab. Was ich beim Ideenzug-Projekt, zu dem ja auch LAT beigetragen hat, total klasse fand, ist die super durchmischte Projektaufstellung, nicht nur in Bezug auf das Geschlecht, sondern auch bei Fähigkeiten und Fachwissen aus unterschiedlichen Perspektiven. Und die Zusammenarbeit aller Partner auf Augenhöhe. Für mich ist das ein Joint Innovation-Projekt, das gezeigt hat, wie Partnerschaft wirklich geht. Da haben alle zusammen Innovation betrieben. Und das Ergebnis spricht ja für sich.
RegioSignaleBlog: Sie führen ein mittelständisches Unternehmen, das sich unter anderem mit Netzwerktechnik und Kabelleitungsbau für den öffentlichen Verkehr befasst. Welche Unternehmens- und Innovationskultur pflegen Sie dort?
Larissa Zeichhardt: Genau die gleiche. Wir sind ein Familienunternehmen in zweiter Generation mit rund 80 Prozent gewerblichen Beschäftigten. Das sind tatsächlich zumeist Männer. Weil die Arbeit physisch oft anstrengend ist, haben wir auf den Baustellen zwar nach wie vor wenig Frauen, aber glücklicherweise ändert sich das langsam. Was wir dabei feststellen: Gemischte Teams arbeiten lösungsorientierter und das Team harmoniert besser.
RegioSignaleBlog: Und wie fördern sie es, dass gerade im technischen Bereich mehr Frauen an Bord kommen?
Larissa Zeichhardt: Indem ich mich selbst als Beispiel nach vorne stelle. Ich weiß nicht, wie viele Interviews ich dazu schon geführt, wie viele Vorträge ich gehalten habe, für wie viele Fotoshootings ich herhalten musste. Das kann schon anstrengend sein und Überwindung kosten – als Ingenieurin bin ich wirklich nicht sonderlich extrovertiert. Aber Beispiele sind eben auch extrem wichtig. Ich habe das selber festgestellt, als ich ganz neu in die Bahnwelt eingestiegen bin und mich gefragt habe, ob es da wohl außer mir auch noch andere Frauen gibt. Im Women in Mobility-Netzwerk habe ich sie gefunden. Das Gute ist: Es machen immer mehr mit und stellen sich ebenfalls nach vorne. Das bewirkt auch was für die Atmosphäre im Sektor und in den Unternehmen. Der Umgang ändert sich, wird freundlicher, respektvoller, wertschätzender.
RegioSignaleBlog: Die InnoTrans ist als weltweite Leitmesse des Schienenverkehrs auch ein Gradmesser für dessen Innovationskraft. Wie innovativ ist nach Ihrer Einschätzung der Schienenverkehrssektor und was sind die wesentlichen Treiber?
Larissa Zeichhardt: Der wirkliche Gradmesser für Innovationen ist nicht die Messe, sondern das, was draußen ankommt. Und wenn ich mir anschaue, was sich da zum Beispiel in der Infrastruktur und auf unseren Baustellen bewegt, was mit der digitalen Schiene angeschoben und umgesetzt wird, dann ist das schon enorm. Wir haben von großen Konzernen, über Familienunternehmen bis zu Tech-Startups alles, was wir im Eisenbahnsektor für den Erfolg brauchen. Wir haben total kreative Köpfe, tolle Menschen, ganz viel Power. Es spricht nur kaum einer darüber. Um es mal provozierend zu sagen: Der Eisenbahnsektor ist ganz weit vorn, wenn es darum geht, sich zu verstecken. Klar, vor allem für die Infrastruktur stand und steht in Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor zu wenig Geld zur Verfügung. Und auch klar, Eisenbahn ist wirklich groß und komplex – so groß und komplex, dass wir uns oft nicht trauen, das selbstbewusst nach außen tragen, was schon ist, was wir alles tun und was wir alles können. Aber das sollten wir wirklich ändern. Wir sollten mehr Mut haben!
Mehr Informationen zum WiM Luncheon auf der InnoTrans: